Nun denn: Alle Menschen geschwisterlich beieinander, vereint durch ein mediatisiertes Licht der Aufklärung – das klang verheißungsvoll. McLuhan war ein Zeichen seiner Zeit, seine Schriften irgendwie hip, seine Thesen durchdrungen von einem gewissen …
. Ach, wie bleiern dagegen Adorno und Horkheimer!
Das Feuilleton und die arrivierte Akademikerzunft in Deutschland hegten lange Jahre große Vorbehalte gegen McLuhan und seinen aphoristischen und von Paradoxien gelenkten Denkansatz. Hans Magnus Enzensberger nannte ihn 1970 den "Bauchredner und Propheten" einer "apolitischen Avantgarde" und einen Autor "wirrer Bücher", "unfähig zu jeder Theoriebildung" (in: "Kursbuch" 20, S. 91). Das saß – für lange Zeit. Und Spuren dieser Skepsis einem in der Tat ungeordneten und der klassischen linearen Argumentation oft abholden Theoriegebäude gegenüber finden sich denn auch in Thomas Assheuers Essay "Der Magier" in der "Zeit" vom 21.7.2011 wieder. In ihm verweist er auch auf McLuhans antimodernen Züge, über die sich seine Biographen nur sehr verhalten geäußert haben.
Für McLuhan, diesen an mittelalterlicher und Renaissance-Philosophie geschulten Rhetoriker, war die von den neuen elektronischen Massenmedien wie Radio, Fernsehen und Computer angestoßene Rückkehr ins mythische "oral-akustische" Zeitalter – in die Phase der menschlichen Entwicklung vor Erfindung des mechanischen Drucks – gewissermaßen die Erlösung: von einer Moderne, die der tiefgläubige Katholik McLuhan unerträglich fand. "Wer McLuhan heute liest, kommt aus dem Staunen nicht heraus, der Mann war ein Hellseher, der groß gedacht und groß geirrt hat", so Thomas Assheuer. Das könne man auch weniger vornehm ausdrücken: "All die Medienphilosophen und Kulturwissenschaftler, die McLuhan blind gefolgt sind, haben beträchtlichen Unfug verbreitet" und "verklärten das Internet zur Erlösungsreligion."
Ja, diese Medienwissenschaft (die mit McLuhan überhaupt erst ihr Fundament erhielt): Sie hatte den guten 'Mäc' weiland zwar "verschlungen wie Marx und Mao; aber er erwies sich als wenig geeignet für exakte Analysen und Interpretationen", konstatiert Claus Pias in seinem Geburtstagsartikel "Medium, roh und blutig" in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vom 17.7.2011. Medien zu verstehen bleibe eine Unmöglichkeit, meint Pias: "Wir sind immer schon in Medien eingeschlossen, und diese Eingeschlossenheit (...) ist so haltlos wie der Poe'sche Maelström, den McLuhan so häufig zitierte" ("Der Medienversteher. Lesen auf eigene Gefahr", in: "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 21.7.2011). Und so gurgelt, zirkuliert und oszilliert die McLuhan-Exegese weltweit zwischen Bewunderung, Ablehnung und dezidiertem Ignorieren.
McLuhans erstes Buch – und gleich im Großformat: Auf einer Seite jeweils eine Werbeannonce ("die Höhlenmalerei" der Gegenwart, so McLuhan), auf der Folgeseite McLuhans Kommentar und Analyse. Eine radikale Absage an eine logische, lineare Argumentationsstruktur. Das Buch für alle Werber. Bizarr und witzig. Kulturpessimistisch. Denn keineswegs fühlte sich McLuhan wohl in der Moderne mit ihren "mechanischen Bräuten", mit denen wir uns vermählen sollten. Bis heute ist das Buch eine Fundgrube für a) krude Werbung aus den späten 1940er und frühen 1950er Jahren, b) einen tiefensozialpsychologischen Blick in die Seele der USA auf dem Höhepunkt ihrer Macht und ihres Nachkriegs-Optimismus, c) alle McLuhanisten auf der Suche nach den Ursprüngen des assoziativen, sprunghaften McLuhan'schen Stils, der ihn später noch so berühmt machen sollte. Ein frühes Werk der Popliteratur, als es dieses Genre noch gar nicht gab. Ein Vorläufer auch der modernen Mythenforschung, mit der der Franzose Roland Barthes ("Mythen des Alltags") wenige Jahre später so bekannt werden würde. 1951 war die "mechanische Braut" ein Ladenhüter. Heute ist die Erstauflage eine bibliophile Rarität. Nachdrucke: zahlreich.
McLuhan legt los. Elf Jahre nach seiner ersten Monographie sein erstes Opus magnum. Ein Buch über Bücher und die Auswirkungen der Literalität. Bescheiden nennt er es eine "Fußnote" zum Werk des kanadischen Wirtschaftshistorikers Harold A. Innis (Empire and Communications; The Bias of Communication), mit dem er kurzzeitig korrespondiert hatte. Auf den ersten Blick eine klassische akademische Analyse der Auswirkungen der
Entwicklung der Schrift, später des mechanischen Buchdrucks und nachfolgend der Alphabetisierung: die Geburt der visuellen Kultur und ihres Leitmediums, des Buches. Und gleichzeitig ein Buch über das sich in den 1960er-Jahren abzeichnende Ende dieser visuellen Buchkultur, hervorgerufen durch die zeitgenössisch neuen elektronischen Medien (Radio, Fernsehen). Menschen würden fürderhin ihre Gedanken nicht mehr linear und sequenziell ordnen, sondern zirkulär verschalten und alles mit allem jederzeit teilen. (Also fast wie 40, 50 Jahre später im Internet.) Eine Rückkehr zur oralen Stammesgesellschaft. Das Ende des geordneten Arguments. Und genauso ist auch dieses Buch geschrieben: Man kann es an jeder beliebigen Stelle aufschlagen und erhält doch immer ein Fraktal des Ganzen. Eine Absage an 2000 Jahre lineare Logik und ordentliche Wissenschaft. So macht man sich Gegner. Aber McLuhan war inzwischen ordentlich bestallter Professor. Und erfreute sich an den Verwirrungen, die er auslöste. Nicht zuletzt mit seinem eigenwilligen literarischen Stil, der Paradoxien und Idiosynkrasien nicht als Widersprüche ansah, sondern als Beleg für die eigenen Thesen. Dieses Buch ist für den Leser eine Herausforderung, aber eine durchaus lohnenswerte: eine Reise in die Kulturgeschichte, geschrieben an einem ihrer Wendepunkte.
Die Fußnote zur Fußnote. The Gutenberg Galaxy reloaded. Erweitert, leichter verständlich und zugänglicher, quasi die populärwissenschaftliche Sachbuch-Version. Mit vielen schlechten Witzen und tollen Wortspielereien, die in Übersetzungen leider verloren gehen. McLuhans Analysekonzept wird bis zur Erschöpfung vorgestellt, Medium für Medium. Und das Medium ist die Botschaft. "In a culture like ours (...) it is sometimes a bit of a shock to be reminded that (...) the medium is the message." (S. 7) Wahrscheinlich der wichtigste Satz im Denkgebäude McLuhans, von ihm zuerst im Sommer 1957 auf einer Radiokonferenz – eher beiläufig übrigens – geäußert. 1964 geriet dieses Statement zum Weckruf der entstehenden Mediengesellschaft: Was sind eigentlich die Medien, was machen sie mit der Gesellschaft?
McLuhan verweist darauf, dass nicht zentral die Inhalte der Medien zu beachten seien (also das, was man liest, hört oder sieht), sondern die Tatsache, dass man Bücher liest, Radio hört und fernsieht: Die in der Gesellschaft vorherrschenden Medien beeinflussten die Wahrnehmungs- und Interaktionsmodi eben jener Gesellschaft; sie erschienen als "extensions" der Sinnesorgane des Menschen; eine Evolution der Medien bedeute also stets auch einen Wandel im Sensorium der Gesellschaft. Und diese (westliche) Gesellschaft sei gerade im Begriff, sich zurück zu verwandeln in eine orale Stammesgesellschaft, zusammengehalten von den elektronischen Medien und ihrem antilogischen Nebeneinander von Unverbundenem. Die Welt implodiere dank Informationstechnologien und Beschleunigung zu einem Dorf ("the global village"). 1964? Kann das sein?
McLuhan beschreibt facettenreich den Übergang von der mechanischen zur elektronischen Verkehrsweise: Vorbei seien die Zeiten der hierarchischen Zentrum-Peripherie-Struktur; nun werde jeder Mediennutzer sein eigenes "Zentrum" im Netz der Informationen. Was auch dieses Buch in seiner eigenen Medialität widerspiegelt: Es kommt wiederum als ein fraktales Kompendium daher, nur noch radikaler in seiner Absage an gründlich belegte Argumente. Oft fand sich denn auch unhaltbarer Unfug in Understanding Media (zwei Drittel des Buchs). Manches war grandios gedacht (ein Drittel). Inspirierend interdisziplinär waren drei Drittel. Wenn man sich als Leser auf McLuhans Spiel einlässt, verschalten sich die bisher eifersüchtig getrennten Wissensgebiete des eigenen Gehirns zu etwas Neuem, Holistischen, Interdisziplinären. Alles war jetzt.
Die Beatniks und Hipster (und später die Hippies) liebten das Buch. Und ahnten kaum, dass sein Autor ein konservativer, frommer Katholik war, der mit den großen Gedanken der kommenden Weltrevolution von 'Peace and Love' rein gar nichts am Hut hatte. Doch die Grundlage für den Ruhm des Kanadiers war gelegt. Es beginnt die Phase von McLuhan als Medienguru, Orakel und public intellectual, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte. Bis heute kann man fast alles aus Understanding Media herauslesen, was man hineinlesen möchte. Der Göttinger Publizistik-Professor Wilmont Haacke machte reichlich Gebrauch hiervon und nannte McLuhan in seiner Auseinandersetzung mit Understanding Media ein "Modeorakel" und einen "Fernsehideologen", der "in einer zeitlich und räumlich unbegrenzten Dauerinformation der Menschheit nur Heil und Segen" erblicke (Wilmont Haacke: Publizistik und Gesellschaft. Stuttgart 1970, S. 71). War das noch McLuhan?
Einige zeitgenössische Rezensionen waren noch unfreundlicher. So schrieb etwa das Time Magazine vom 3. Juli 1964 in seiner Besprechung, Understanding Media biete "just the right combination of intelligence, arrogance and pseudo science" – und listet einige widersprüchliche Zitate auf. McLuhans feuilletonistische Verspieltheit kommt bei dem anonymen Rezensenten nicht gut an:
In der Tat waren manche Ideen in dem Buch unausgereift, etwa McLuhans Einteilung in "kühle" Medien wie das Telefon, moderne Malerei und vor allem das Fernsehen (datenarm, also fordernd und involvierend) und "heiße" Medien wie Kinofilme, Fotografien oder das Radio (datenreich, hoch aufgelöst und meist sequentiell, linear und logisch). Nicht immer passt das; man kann McLuhan bis heute mit seinen eigenen Beispielen widerlegen. Und manche schöne Idee in Understanding Media war geborgt: etwa die zentrale These vom Weltdorf, die mehr oder minder direkt von Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) und dessen Konzept der Noösphäre entlehnt scheint.
Am 2. Juli 2013 fragte die "Stuttgarter Zeitung" auf Seite 1: "Wie geht die Welt unter?" – und illustrierte ihr solchermaßen beworbenes Kultur-"Extrablatt" interessanterweise mit dem Motiv des Plattencovers der McLuhan-LP The Medium is the Massage von 1967. Wir wissen nicht, was es ist, aber es wird schon irgendwie dazu passen, Mr. Jones.
Scan/Bearbeitung: Oliver Zöllner (2013)
1967/68 ... der McLuhan-Hype. McLuhan überall: als Titelgeschichte von "Newsweek" ("The Message of Marshall McLuhan", 6.3.1967), als Experte im Fernsehen für "alles und irgendwas mit Medien", als Vortragsreisender rund um den Globus – und als Thema von akademischen Sammelbänden und Symposien. Eine der ersten Publikationen überhaupt, die sich auf der Metaebene mit McLuhan auseinandersetzen, ist das von Barry Day in Großbritannien verfasste Lesebuch mit dem schönen Titel I'm the Only One Who Knows What the Hell Is Going On: The Message of Marshall McLuhan. London 1966. Der Titel lässt es erahnen: McLuhans Denkansatz und Schreibstil, mit deren Hilfe er irgendwie alles erklärt, wird hier als arg besserwisserisch und oberflächlich kritisiert. Nuancierter tritt Gerald Emanuel Stearn (ed.): McLuhan Hot & Cool. New York 1967 auf: Ein veritabler akademischer Sammelband, der die Crème de la crème des zeitgenössischen Denkens aufbietet, um McLuhan teils zu widerlegen, teils ihn zu feiern – oder etwas dazwischen. Mit feinem Florett ficht auch Raymond Rosenthal (ed.): McLuhan Pro & Con. New York 1968: Es wird hier der ernsthafte Versuch unternommen, McLuhan zu verstehen und die Frage zu beantworten, wieso ein bis vor kurzem relativ obskurer Literaturwissenschaftler aus Kanada nun plötzlich so in aller Munde ist, ja geradezu als Pop-Phänomen gelten kann. McLuhan bringt Diskussionen zum Vibrieren und ironischerweise die Druckerpressen in Hochbetrieb. Ein weiterer Sammelband konstatiert gar eine McLuhan-"Explosion": Harry F. Crosby & George R. Bond (eds.): The McLuhan Explosion. New York 1968. Dieses Buch ist eine Fundgrube für alle McLuhan-Archäologen, denn es versammelt fast alle wesentlichen Rezensionen und Essays aus der Tages- und Wochenpublizistik, die bis dato zu McLuhan erschienen waren. Aus dezidiert marxistischer Perspektive nimmt Sidney Finkelstein: Sense and Nonsense of McLuhan. New York 1968 McLuhan eng am Text und These für These auseinander. Er deckt zahlreiche sachliche und logische Fehler auf. Dennis Duffys heute rares Büchlein Marshall McLuhan. Toronto/Montreal 1969 versucht eher, dem ratlosen Interessenten eine Lesehilfe an die Hand zu geben und die Diskussionen zusammenzufassen.
Die Titel sagen es: McLuhan inspirierte, polarisierte und verunsicherte die Öffentlichkeit und die akademische Welt gleichermaßen. Genial? Gnomisch? Gnostisch? Guru? Scharlatan? Prophet? Besserwisser? Cultural-Studies-Forscher wie Raymond Williams, Stuart Hall, James Carey und John Fekete ("McLuhanacy") und Semiotiker wie Umberto Eco et al. verdammen McLuhan in ihren Publikationen. Andere feiern ihn. McLuhan, das Pop-Phänomen, McLuhan, das Medienorakel, McLuhan auf jedem Kanal. Leicht zu karikieren, aber keineswegs bedeutungslos. Man kann es fast nur noch im Stil der damaligen Zeit ausdrücken: McLuhan was what was happening. Er war ein Happening.
Der (nicht ganz humorlose) Studentenaktivist Abbie Hoffman (Nom de plume: "Free") listet in einem seiner zeitgenössischen Yippie-Traktate McLuhan unter den drei akademischen "M"s auf, die für die bevorstehende Revolution bitte zu beachten seien: "Maslow – Marcuse – McLuhan" (und natürlich die Marx Brothers, einschließlich Karl, wie Hoffman schelmisch hinzufügt): "The first two were my teachers at Brandeis [University], the third I've never met but I watch him on television" (Free: Revolution For the Hell of It. New York 1968, S. 175). McLuhan reist derweil um die Welt, berät Politiker und Firmen, hält gut bezahlte Vorträge. Seine Schriften dagegen verwässern allmählich. In rascher Folge werden weitere McLuhan-Bücher auf den Markt geworfen, die seltsame Titel, wenig Text und tolle Bebilderungen haben.
• Marshall McLuhan (mit Quentin Fiore [Design] und Jerome Agel): War and Peace in the Global Village: An Inventory of Some of the Current Spastic Situations That Could Be Eliminated by More Feedforward. New York 1968.
McLuhan legt auf dem Höhepunkt seines Ruhms nochmal nach. Seine Bücher werden von den Hippies und rebellierenden Studenten bereits verschlungen, doch der Autor bewahrt einen distanzierten, analytischen Standpunkt. War and Peace in the Global Village ist eine grafische Studie über den Krieg und die Globalisierung. Oder genauer: über die Moderne (für McLuhan ist diese ja nichts anderes als ein Krieg gegen die Zivilisation). Vietnam als zeitgenössische Auseinandersetzung kommt hier nur am Rande vor. Noch weniger die Machtverhältnisse, die ein Krieg stets impliziert. Der Medienwandel, die Implosion der neuen elektronisch-zirkulär verschalteten Welt, ist McLuhan bereits Gewalt genug. Man beachte auf jeden Fall den Untertitel dieses Buches, der in vielen Bibliografien unterschlagen wird. Diese Schrift ist eine Meditation über die Zukunft. Und man möchte heute damals nicht Teil dieser Zukunft gewesen sein.
Ab den 1960er Jahren McLuhans Wirkungsstätte: sein "Centre for Culture and Technology" in einem kleinen Hinterhaus der Universität Toronto. Nach seinem Tod wurde das Centre als "McLuhan Program" weitergeführt (Adresse: 39A Queen's Park Crescent East, Toronto).
Foto: Oliver Zöllner (2008)
McLuhan wandelt sich in dieser Zeit endgültig zum Pop-Phänomen. So sehr zeitgenössische (und heutige) Kritiker seiner Thesen und Argumentationsweise ihn auch ablehnen mögen: Zweifelsohne war der Kanadier einer der Wegbereiter des "pictorial turn", der Hinwendung der Medienwissenschaft zum Bild. McLuhan begriff beinahe intuitiv den Stellenwert von ikonischen Zeichen, Images – ja, allem Imaginären. Er machte reichlich Gebrauch davon.
• Marshall McLuhan (mit Harley Parker [Design]): Through the Vanishing Point: Space in Poetry and Painting. New York 1968.
Ein oft übersehenes Non-book-als-Buch für Ikonologen und Kunstwissenschaft­ler. Methode: Pro Seite ein Bild aus einer Phase der Kunstgeschichte (ca. 1450 bis 1968), begleitet von Gedichten, literarischen Zitaten und Gedankensplittern McLuhans. Kunst wird als subversiver Spiegel der Gesellschaft begriffen, in der neue Technologien neue Wahrnehmungsweisen bedingen. Assoziativ und erratisch. Gilt es noch zu entdecken.
• Marshall McLuhan (mit Harley Parker [Design]): Counterblast. New York 1969.
Dieses Buch knüpft an The Medium Is the Massage und War and Peace in the Global Village an: als grafisches Kunstwerk, das die wesentlichen Thesen McLuhans in Spielereien mit der Typographie illustriert. Perfektes Design der frühen Sechziger. Unbedingt als farbige Originalausgabe anschauen! Als Buch im traditionellen = lineraren Sinne ist Counterblast allerdings verwirrend. Quod erat demonstrandum: "Faced with information overload, we have no alternative but pattern-recognition." (S. 132). Dieser Satz ist bis heute gültig.
• Marshall McLuhan (mit Wilfred Watson): From Cliché to Archetype. New York 1970.
Wieder eine Fußnote zu The Gutenberg Galaxy mit einer (wenn auch weitgehend unklaren) Weiterentwicklung von McLuhans zentralen Thesen. Im Kern erkundet dieses Buch den Zusammenhang zwischen kulturellen Artefakten und den ihnen zugrundeliegenden tieferen archetypischen Motiven. Sperrig, um es milde auszudrücken. Und ein bisschen Resteverwertung.
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McLuhanismen waren um 1970 herum längst Zeitgeist. So orakelte etwa der dem Kosmischen nicht abgeneigte Komponist Karlheinz Stockhausen über seine Gegenwart: "...der Beginn eines neuen Bewußtseins. Was geschieht, besteht nur noch aus dem, was JETZT in der Welt gesendet wird... Die früheren Gegensätze von Alt und Neu, von Fern und Nah, von Bekannt und Unbekannt lösen sich auf. ALLES ist das GANZE und GLEICHZEITIG. Die Zeiten verschwinden wie Vorbewußtes" (Karlheinz Stockhausen: Kommentartext zum Opus Kurzwellen [1968/69], LP: Deutsche Grammophon 1970). Implosionen und Gleichzeitigkeiten allüberall.
Etwa zeitgleich bringt eine amerikanische Experimental-Jazzrockband namens "McLuhan" ihre (einzige) LP unter dem Titel Anomaly (LP: Brunswick/Bellaphon 1972) heraus und setzt sich dort musikalisch mit den Thesen McLuhans auseinander: "A Brief Message From Your Local Media". Irgendwas mit Automation, Fließbandproduktion und "Electric Man". McLuhan wird in die Populärkultur seiner Zeit integriert. Zugleich schreibt er selbst über die Kultur seiner Zeit.
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• Marshall McLuhan: Culture Is Our Business. New York 1970.
McLuhan bleibt produktiv. Kultur! Dieses Buch ist eine Art 'Mechanical Bride' Revisited: eine Sammlung von Werbeanzeigen (diesmal der späten 1960er Jahre), denen McLuhan eigene und fremde Textschnipsel und Aperçus zum Wesen der US-amerikanischen Konsumkultur gegenüberstellt. Roland Barthes hätte es nicht besser gekonnt. Lohnenswert ist das Buch wegen der dokumentierten Printannoncen, die eine Hoch-Zeit der Kreativität und des Witzes der Madison Avenue verfügbar macht. Für Werbe- und Kulturhistoriker erneut eine Fundgrube. Und für "Mad Men"-Fans obendrein. (Kein Wunder, dass in der ersten Staffel dieser TV-Serie McLuhan gar zitiert wird.)
• Marshall McLuhan & Barrington Nevitt: Take Today: The Executive as Dropout. New York 1972.
Dieser Titel klingt ein wenig nach post-hippie era, ist aber McLuhans prononciertester Ausflug in die Welt der Managementberatung. "The intent of our book is to discuss and illustrate the sudden change from the industrial world of assemby-line 'hardware' and visual space into the electric world of orchestrated programming" (S. 7). Die Manager von 1972 dürften ob all der Wortspiele und literarischen Anspielungen in dem Buch eher verwirrt gewesen sein, aber wer mit dem McLuhanismus vertraut ist, erkennt durchaus die Wandlungen, die die Theorien von angemessener Unternehmensführung seither durchgemacht haben – und die McLuhan und Nevitt in diesem Buch vorzeichnen. Bisweilen auf bizarre Weise allerdings und kaum linear lesbar. Immerhin wird in dem Buch u.a. Kritik am Fortschritts-Managementdogma geübt, was aktuell ja wieder sehr angesagt ist.
Die frühen Siebziger ... und der McLuhan-Hype hat seinen Gipfelpunkt überschritten. Das ubiquitäre Medienorakel verschwindet allmählich aus den Talkshows und den Schlagzeilen. Auch die Veröffentlichungen McLuhans werden seltener und bieten im Wesentlichen nur Neuaufgüsse seiner bekannten Thesen. McLuhan ist zu diesem Zeitpunkt längst per Sekundärliteratur kanonisiert worden, wohlwollend etwa in der Werkeinführung des französischen Soziologen Alain Bourdin: Mac Luhan [sic!]: Communication, technologie et société. Paris 1970, eine Grundlage für die (lange übersehene) McLuhan-Rezeption in Frankreich. Es erscheinen auch Bücher und Traktate, die McLuhans Theorieansatz geißeln, etwa aus dem Blickwinkel der Wissenschaftstheorie Jonathan Miller: McLuhan. London 1971 und Donald F. Theall: The Medium is the Rear View Mirror: Understanding McLuhan. Montreal, London 1971. "Even second-rate science fiction today uses the name and concepts of Marshall McLuhan" (Theall, S. xiii). Das mag fast noch ehrenvoll klingen, doch McLuhans große Zeit ist (vorerst) vorbei. Hinzu kommen erhebliche gesundheitliche Probleme des Kanadiers.
1976 hat McLuhan nochmal einen zeitlosen Auftritt: als Nebendarsteller in Woody Allens Spielfilm Annie Hall (Der Stadtneurotiker). McLuhan spielt McLuhan und weist als deus ex machina einen seiner Kritiker zurück: "You know nothing of my work! You mean my whole fallacy is wrong!" Dieser selbstironische Auftritt ist vielleicht sein größter kleiner Triumph (und in der Tat eine der köstlichsten Szenen des Films). Einen weiteren Auftritt in einem Spielfilm hat McLuhan posthum – jedenfalls als Anspielung. Die Figur des Medienprofessors und -propheten "Brian O'Blivion" in David Cronenbergs frühem Film Videodrome (1983) wurde von vielen Kommentatoren als Anspielung auf Cronenbergs Landsmann McLuhan dekodiert und ist ebenso vergnüglich wie bizarr.
Ein kleines Buch – es sollte McLuhans letztes sein – erscheint 1977: Marshall McLuhan/Kathryn Hutchon/Eric McLuhan: City as Classroom: Understanding Language and Media. Agincourt, Ont. 1977. Gemeinsam mit einer Pädagogin und seinem Sohn Eric, ebenfalls Medienwissenschaftler, entwirft McLuhan hier ein didaktisch interessantes und überzeugendes Konzept der schulischen Medienkunde und Mediensoziologie, basierend auf seinen früheren Schriften, aber besser systematisiert und luzider dargelegt. Vielleicht sein bestes Buch – aber auch sein am häufigsten übersehenes.
Das langjährige Haus der Familie McLuhan in einer idyllischen Gegend Torontos. Hier starb der Medienphilosoph in der Silvesternacht 1980. Die Adresse wird in Philip Marchands Biographie (1989, dt. 1999) genannt (siehe dort, Kapitel 11 und 12).
Foto: Oliver Zöllner (2010)
An Silvester 1980 stirbt McLuhan nach einem erneuten Schlaganfall. In den 1980er Jahren scheint er in der Medien- und Kommunikationswissenschaft beinahe vergessen und fristet ein apokryphisches Fußnotendasein. Der allgemeine Trend lautet "McLuhan is dead". Aber nicht nur: 1981 erscheint unter dem trotzigen Titel "The Living McLuhan" ein Themenheft des Journal of Communication (Volume 31, No. 3), das sich ausschließlich den Meriten McLuhans und der Zukunft seiner Denkansätze widmet. Und immerhin beziehen sich prominente medienwissenschaftliche Monographien jener Zeit auf einige der wesentlichen Thesen McLuhans bzw. schreiben sie fort: etwa Elizabeth L. Eisenstein in ihrer fulminanten zweibändigen Studie The Printing Press as an Agent of Change: Communications and Cultural Transformations in Early-Modern Europe. Cambridge 1979,
der McLuhan-Schüler Walter J. Ong: Orality and Literacy: The Technologizing of the Word. London 1982 oder der internationale Bestseller von Neil Postman: Amusing Ourselves to Death: Public Discourse in the Age of Show Business. New York 1985. Zwei andere Publikationen aus dieser Zeit ordnen McLuhan in die nordamerikanische Geistesgeschichte ein: Daniel J. Czitrom: Media and the American Mind: From Morse to McLuhan. Chapel Hill NC 1982 und Arthur Kroker: Technology and the Canadian Mind: Innis, McLuhan, Grant. New York 1984. Ganz verschwunden war McLuhan nie. Am Ende des Jahrzehnts werden eine Auswahl seiner Briefe (Letters of Marshall McLuhan. Toronto, Oxford 1987), bisher unveröffentlichte Texte und die erste große Biographie veröffentlicht. Dies ist die Zeit des Revivals der 1960er Jahre, und McLuhan war deren Diskurs-Popstar. Die Wiederentdeckung beginnt.
Ein Blick auf McLuhans nachgelassene Werke sowie eine Auswahl der Schriften über ihn:
• John Fekete: The Critical Twilight: Explorations in the Ideology of Anglo-American Literary Theory from Eliot to McLuhan. London, New York 1978.
Eine frühe Würdigung und Weiterschreibung von McLuhan, dem Literaturwissenschaftler: Eine allerdings sehr trockene Lesart, die sich rein auf akademische Traditionen der Literaturkritik fokussiert und dabei McLuhan neben Eliot, Ransom und Frye als einen Hauptprotagonisten identifiziert. Die zeitgenössische Kritik hielt Feketes Positionen für weitgehend überzogen.
• Marshall McLuhan & Eric McLuhan: Laws of Media: The New Science. Toronto 1988.
Aus den nachgelassenen Notizzetteln und Manuskriptfragmenten seines Vaters fertigte Eric McLuhan, Professor für Medienwissenschaft, dieses posthume Buch – als "Update" von Understanding Media. Es ist McLuhans kohärentestes und vielleicht linearstes Buch. Unter anderem wird in ihm das Analysetool der "Tetraden" vorgestellt: Was verstärken Medien, was verdecken sie, welche früheren Medien holen sie zurück und in was verkehren sie sich? Klingt simpel, ist aber durchaus bestechend und analytisch praktikabel; eine Art Grammatik der Medien und jeglicher menschlicher Interaktionen.
• Marshall McLuhan & Bruce R. Powers: The Global Village: Transformations in World Life and Media in the 21st Century. New York, Oxford 1989.
Wiederum ein Ergebnis der Nachlassverwaltung, aber durchaus ein interessantes – und die konsequente Fortschreibung von Laws of Media: Wie sieht die computerisierte Welt von morgen aus? ihre Medien? ihre Gesellschaft? Wie so oft bei McLuhan: Die Begrifflichkeiten sind verquer, die Analysen teils bestechend. Ein an der Renaissance geschulter Denker sagt der im Rückspiegelblick auf das 19. Jahrhundert verharrenden Gegenwart die Zukunft voraus. 2011 ist dies ein größerer Lesegenuss als noch 1989.
• George Sanderson & Frank Macdonald (eds.): Marshall McLuhan: The Man and His Message. Golden, Col. 1989.
War McLuhan Jesus? Aufmachung und Duktus dieses Buches lassen es zumindest vermuten. Diese Publikation begründet Ende der 1980er Jahre das inzwischen sehr beliebte Genre des McLuhan-Devotionalienbuchs: eine Zusammenstellung von Erinnerungen und Reminiszenzen seiner Freunde und Jünger, angereichert mit Zitaten und Schnipseln und weiterem Nachgelassenem von IHM. Nicht prinzipiell uninteressant, aber doch eher etwas für Exegeten, die des Meisters Odem ganz nah sein wollen.
• Philip Marchand: Marshall McLuhan: The Medium and the Messenger. Toronto 1989.
Die erste Biographie zu McLuhan, geschrieben von einem seiner Schüler, aber keineswegs devot. Taucht sehr tief und analytisch in sein Leben und Werk ein, spart dabei kritikwürdige Aspekte und Widersprüche nicht aus. Faszinierende Lektüre. Sehr lohnenswert. Ein Meilenstein der wissenschaftlichen Biographie.
• J. Herbert Altschull: From Milton to McLuhan: The Ideas Behind American Journalism. New York 1990.
Eine Ideengeschichte des nordamerikanischen Journalismus und eine Rollengeschichte des Journalisten als professioneller Akteur. Mindestens, so kann man Altschulls Buch verstehen, hat McLuhan dazu beigetragen, dass sich professionelle Kommunikatoren ihrer Rolle und ihrer Bedeutung bei der Prägung von Weltsichten gewahr werden. Es geht auch im Journalismus nicht nur um Inhalte.
• Eric McLuhan & Frank Zingrone (eds.): Essential McLuhan. Concord, Ont. 1995.
Irgendwann zwischen 1994 und 1995 muss das weltweite Interesse an McLuhan geradezu explosionsartig zugenommen haben. Längst vergriffene Schriften wurden wieder aufgelegt, manche auch zum ersten Mal in Fremdsprachen übersetzt. Im Kopf der amerikanischen Internetkultur-Zeitschrift "Wired" tauchte McLuhan bereits seit 1992 als "patron saint" auf. Jawoll: das Online-Zeitalter war angebrochen, und jetzt wollten alle Geeks, Nerds, Techies und Medienwissenschaftler etwas von diesem McLuhan lesen. Da kam diese Textzusammenstellung von Eric McLuhan und Frank Zingrone gerade recht. Dieses gut strukturierte Lesebuch macht zentrale und abgelegene Texte (etwa das überragend luzide McLuhan-Interview im US-"Playboy", Vol. 16 [1969], Heft 3, S. 53-74 +158) zugänglich, oft in der ursprünglichen ungewöhnlichen Typographie der Erstdrucke. Ein "Best-of"-Sampler sozusagen. Zum Einstieg in das Denkgebäude Marshall McLuhans durchaus zu empfehlen.
• Paul Benedetti & Nancy DeHart (eds.), Alison Hahn & Nigel Smith (Design): Reflections On and By Marshall McLuhan: Forward Through the Rearview Mirror. Cambridge, Mass. 1996.
Dieses Designkunstwerkcoffeetablelesebuch hätte McLuhan gefallen: herausragendes Fotobildmaterial, meisterhaft assoziativ arrangiert und juxtaposiert mit Kurztexten von McLuhan und Einordnungen von Schülern, Freunden und Jüngern. Entstanden ist das Buch aus einer "Multimedia"-CD-ROM: Understanding McLuhan (v.1 1996) – der erste (und gelungene) Versuch, McLuhan ernsthaft ins non-lineare Non-Book-Zeitalter zu überführen. Aber so verhaftet sind wir der Gutenberg-Galaxis, dass dann doch noch ein Begleitbuch aus Papier hermusste. McLuhan hätte sich amüsiert. Dieses Blätterbuch also: The Medium is the Massage und War and Peace in the Global Village für das 21. Jahrhundert: Man wird nicht recht schlau draus, aber es ist schön anzusehen. Wie überhaupt ja das 21. Jahrhundert. Es wird böse enden.
• Glenn Willmott: McLuhan, or Modernism in Reverse. Toronto, Buffalo, London 1996.
Willmotts Studie analysiert nicht McLuhan, sondern "McLuhan", das mediatisierte postmoderne Pop-Projekt der Moderne und dessen Bedeutung für das intellektuelle Leben von heute. "If McLuhan is to be regarded as a modernist, it must be as a modernist who helped produce the ideology of, and who lived, a new postmodern landscape (...). McLuhan is one of those clichés from the junk pile of critical history which may now be retrieved and retraced as a persistent element of our postmodern critical imaginary" (Willmott, S. 156, 207). Ja, das kann man inzwischen wohl so sagen.
• W. Terrence Gordon: Marshall McLuhan: Escape into Understanding. A Biography. Toronto 1997.
Die zweite größere Biographie. Ebenfalls breit recherchiert. An einigen Stellen distanzierter als Marchands Buch. Auch hervorragend als Einführungswerk zu gebrauchen. Wer schon nicht mehr linear lesen mag: Gordon hat zeitgleich auch eine Einführung in das McLuhan'sche Denkgebäude als Comic verfasst: McLuhan for Beginners. New York 1997. Nicht ohne Witz. Sicher etwas für Studierende.
• Paul Grosswiler: Method Is the Message: Rethinking McLuhan through Critical Theory. Montréal, New York, London 1998.
Eines der interessantesten und tiefschürfendsten Bücher über McLuhan – und bisher kaum rezipiert. Grosswiler liest seinen Landsmann als Dialektiker, dessen Denkansatz viele Parallelen mit Marx und ergo der Kritischen Theorie aufweise (wiewohl die Person McLuhan dem alten Marx und seinen Nachfolgern extrem abweisend bis feindselig gegenüber stand und sich dieser Lesart wohl verwehrt hätte). Eine bestechende und vielfältig anschlussfähige Neuinterpretation.
• Gary Genosko: McLuhan and Baudrillard: The Masters of Implosion. New York, London 1999.
Genosko vergleicht McLuhans Theorieansatz mit dem des französischen Gesellschafts- und Medientheoretikers Jean Baudrillard. "Baudrillard himself has been labeled a 'new McLuhan' who 'out-McLuhans McLuhan'...", wie Paul Grosswiler (1998, S. 169) mit Zitaten aus Douglas Kellners Baudrillard-Biographie anmerkt. Oh wie zirkulär! Diese Postmoderne! In der Tat: Was wäre Baudrillard ohne McLuhan? Immerhin war Frankreich eines der Länder, in denen der Kanadier recht früh wohlwollend rezipiert und ernstgenommen, gar zum Eckpfeiler poststrukturalistischen Denkens wurde. Daran erinnert auch eine kleine monografische Werkeinführung des Soziologen Alain Bourdin: Mac Luhan: Communication, technologie et société. Paris 1970, die auf S. 118 schon so präbaudrillardesk fragt: "Les « mass média » existent-ils?" Welch weise Provokation! Jahre später stellte Baudrillard dann die Existenz so ziemlich aller mediatisierten Ereignisse radikal in Frage. Realität, Fiktion, Amerika, Golfkrieg et tous: alles bloß Simulation. (Mais oui: McLuhan existait-il?) [Pardon: c'est « Mac Luhan » bien sûr. Médias chauds, médias froids; signe et signifié!] Der Fluch der pataphysikalischen Effekte der Reversibilität: "isn't McLuhan really a Canadian Baudrillard?" (Genosko, S. 98) Vive l'implosion!
• Paul Levinson: Digital McLuhan: A Guide to the Information Millennium. New York, London 1999.
Ein Blick in die McLuhan-Galaxis des 21. Jahrhunderts. Ein Hypertext – früher hätte man gesagt: eine Fußnote – von 200 Seiten im alten Gutenberg-Medium Buch, das immer noch recht lebendig ist. Levinson schreibt McLuhans Denklinien fort und kontrastiert sie mit der weiteren Entwicklung der Medientechnologie und medialen Kommunikation – und das durchaus mit teilweise sehr kritischer Distanz. Ohne Kenntnis der Primärliteratur ist dieses Buch allerdings für den Leser wenig gewinnbringend.
Und damit willkommen im explosiven 21. Jahrhundert. McLuhan gelingt ein posthumes Comeback. Die Cultural Studies haben McLuhan rehabilitiert, die Medienwissenschaft entdeckt ihn neu. Das "global village" ist längst zur Catch-all-Phrase verkommen – wie auch viele anderen Thesen McLuhans, die im Internetzeitalter einer neuerlichen Analyse und Einordnung bedürfen. Jetzt will jeder McLuhan lesen (oder wenigstens etwas über ihn).
Auf staatlicher Ebene wird McLuhan ein offizieller Namenspatron der public diplomacy Kanadas und posthum zum Theoretiker der kanadischen Landesidentität geadelt. So eröffnet die kanadische Botschaft in Berlin 2015 ihren Marshall McLuhan Salon, eine Art Informationszentrum über Kanada, Medien, Medientheorie und natürlich McLuhan. Es ist weltweit sicher einmalig, dass ein Medientheoretiker Namensgeber des Informations- und Besucherzentrums einer Botschaft ist. Längst werden im öffentlichen Diskurs auch Zitate McLuhans herangezogen, wenn es um das moderne Selbstverständnis Kanadas und sein nation branding geht. "Marshall McLuhan, one of the last century's most seismic thinkers, felt we shouldn't bother [about the presumed lack of a national identity]. 'Canada is the only country in the world that knows how to live without an identity,' he said in 1963", schreibt etwa Charles Foran am 4. Januar 2017 in The Guardian Online. "McLuhan saw in Canada the raw materials for a dynamic new conception of nationhood." Er gilt nun als einer der Vordenker des vielleicht ersten "postnationalen" Landes der Welt. Und war Zeit seines Lebens doch selbst ein Kritiker seines Landes, dem er so oft mangelnden Ehrgeiz vorwarf.
• Christopher Horrocks: Marshall McLuhan and Virtuality. Cambridge 2000.
Ein kleines Büchlein im Taschenformat von kaum 80 Seiten, und dennoch eine passable Einführung in die Anwendbarkeit des McLuhan'schen Denkgebäudes unter den Bedingungen der Virtualität. Horrocks geht davon aus, dass "[n]ew technologies and media have not only been accompanied by discourses of technology, but have been constructed by them. They all have a bearing on the assumptions that accompany McLuhanism" (S. 32). Horrocks geht diesen Vermutungen und Hypothesen unter Rückgriff auf die seinerzeit aktuellste Sekundärliteratur sehr systematisch und inspiriert nach – was auch heute noch lesenswert ist.
• Judith Fitzgerald: Marshall McLuhan: Wise Guy. Lantzville, Montréal 2001.
Diese Biographie führt – wie es sich für ein solches Buch gehört – in das Leben und Werk McLuhans ein, verbleibt aber eher an der Oberfläche und wird stellenweise zur kumpelig-distanzgeminderten Eulogie. Hier steht nichts, was nicht schon in den fulminanten Biographien von Marchand (1989) oder Gordon (1997) zu finden war (s.o.), dort aber ausführlicher.
• Friedrich Krotz: "Marshall McLuhan Revisited. Der Theoretiker des Fernsehens und die Mediengesellschaft". In: Medien und Kommunikationswissenschaft, 49. Jahrg. (2001), Nr. 1, S. 62-81.
Hervorragend reflektierte und wissenschaftstheoretisch kontextualisierte, konzise Einführung in McLuhans Werk, die nicht übersehen werden sollte. Krotz arbeitet fair die Stärken, aber auch die Schwächen des McLuhan'schen Ansatzes heraus. Festzuhalten sei, "dass McLuhan im Detail vermutlich viele unhaltbare Behauptungen aufgestellt hat, die oft weder klar formuliert noch im Detail begründet und belegt waren (...)." Diesem Manko stehe "auf der anderen Seite etwas eindrucksvoll Visionäres gegenüber. (...) McLuhans zentrale Leistung ist (...) seine These der Bedeutung der Bedingungen medialer Kommunikation für Denk- und Gesellschaftsstrukturen und damit die Begründung einer Theorie, die heute gelegentlich als Mediumstheorie bezeichnet wird" (S. 79). McLuhan: der Vordenker der Mediatisierung des Alltags.
• Richard Cavell: McLuhan in Space: A Cultural Geography. Toronto, Buffalo, London 2002.
Eine tiefgründige Exploration des McLuhan'schen Konzepts des akustischen Raumes, seiner gedanklichen Ursprünge und seiner Adaptionen. Allein 70 Seiten Fußnoten. "(...) acoustic space as formulated by McLuhan bears many traits in common with cyberspace: both are at once virtual and material; both contest notions of 'inside' and 'outside'; (...) both constitute a space that cannot be limited to a single point of view; both place in question rationalist assumptions about experiential phenomena." (S. 224) Dieses Mammutwerk muss von der McLuhanologie noch verdaut werden. Bedauerlich, dass Cavell das Buch von Genosko (s.o.) noch nicht in seine Überlegungen einarbeiten konnte.
• Marshall McLuhan (Stephanie McLuhan & David Staines [eds.]): Understanding Me: Lectures and Interviews. Toronto 2003.
Eine Sammlung von nachgelassenen Vorlesungs- und Interview-Transkripten, in denen manches pointierter dargestellt wird als in McLuhans Originalmonografien. Bestechend ist, wie nah der Autor in seinen mündlichen Interviews seinen eigenen Buchformulierungen war. Es befinden sich in dieser Textsammlung auch echte Schätze für die McLuhan-Exegese, etwa ein Interview mit CBC-TV, in dem McLuhan 1966 nach Meinung der Herausgeber (mehr oder weniger) die Interaktivität des Internet-Zeitalters beschreibt. So ganz präzise ist diese Vorausschau vielleicht doch nicht, bietet aber einen interessanten wissenschaftsarchäologischen Blick auf die Visionen, die die an sich schon hinreichend visionären 1960er Jahre von der Zukunft hatten.
• Janine Marchessault: Marshall McLuhan. London, Thousand Oaks, New Delhi 2005.
Noch eine Biographie? Ja. Marchessault vermeidet Fitzgeralds Fehler der Oberflächlichkeit und Distanzminderung. Ihr analytischer Ansatzpunkt zum Nachzeichnen von Leben und Werk des Biographierten ist die Wissenschaftsgeschichte, in der die Autorin McLuhan in all seinen Schaffensphasen und mit Hilfe vieler Zitate verortet. Das liest sich nicht immer flüssig, ist aber intellektuell ansprechend und eignet sich als empfehlenswerte gründliche Einführung in den McLuhanismus.
• Lance Strate & Edward Wachtel (eds.): The Legacy of McLuhan. Cresskill, NJ 2005.
Aus einer Konferenz wurden 27 Buchkapitel, die McLuhans Werk und Ideengebäude aus vielerlei Perspektiven erläutern. Tenor des Bandes ist, dass McLuhan für das 21. Jahrhundert wohl noch relevanter ist, als er es für das 20. bereits war. McLuhan, der Hypertext-Denker und Cyber-Logiker. Viele der in diesem Buch versammelten Texte sind entweder hervorragende Einführungen oder äußerst lesenswerte Interpretationen und Fortschreibungen. Hier wird McLuhan gefeiert, das ist klar; die kritischen Aspekte werden in diesem Sammelband eher verhalten behandelt.
• Joost Van Loon: "McLuhan and His Influences". In: David Berry & John Theobald (eds.): Radical Mass Media Criticism: A Cultural Genealogy. Montréal, New York, London 2006, S. 161-176.
In diesem gut lesbaren Aufsatz gibt Van Loon keine Einführung in das Werk McLuhans (er setzt voraus, dass man damit vertraut ist), sondern analysiert die den Schriften McLuhans inhärente Logik im Kontext seiner akademischen Vorbilder und Einflüsse (vor allem Harold Innis) und seiner Nachfolger (u.a. Paul Virilio, Neil Postman, Jean Baudrillard). McLuhans Denkansatz erscheint als radikal-kritische Medienanalyse, bei der der technologische Kontext des Theoriegebäudes im Mittelpunkt steht und Medien aus sich selbst heraus verstanden werden sollen. "Whilst the political is by no means irrelevant, a case needs to be made for understanding media 'as such,' that is to say, not as instruments or tools, but as 'agents' of social and cultural processes. This is why Innis's and McLuhan's works are so important" (S. 174).
• Derrick de Kerckhove, Martina Leeker & Kerstin Schmidt (Hrsg.): McLuhan neu lesen. Kritische Analysen zu Medien und Kultur im 21. Jahrhundert. Bielefeld 2008.
Es soll hier nicht der Eindruck entstehen, dass sich die deutschsprachige Medienwissenschaft nicht näher mit McLuhan beschäftigt habe. In einer lobenswerten transatlantischen Kooperation legen ein kanadischer McLuhan-Schüler und zwei deutsche Wissenschaftlerinnen einen lesenswerten Sammelband vor, in dem das McLuhan'sche Werk teils aus neuen Blickwinkeln betrachtet wird: "Mit McLuhan über McLuhan hinaus" (S. 10) wird der Meta-Diskurs zu dessen Thesen rekonstruiert und weitergedacht. Einige Fallstudien/Beiträge in diesem Buch muten allerdings recht weit hergeholt an – es lebe die idiosynkratische Assoziation! (Isn't that the essence of McLuhanism?)
• Klaus Sachs-Hombach: "Marshall McLuhans Medientheorie aus bildwissenschaftlicher Sicht". In: Johannes Fromme & Werner Sesink (Hrsg.): Pädagogische Medientheorie. Wiesbaden 2008, S. 151-167. Internetquelle: doi.org/10.1007/978-3-531-90971-4_9.
Auch die Bildwissenschaft entdeckt McLuhan und sieht seinen pädagogischen Ansatz, den er als ein Wegbereiter des "pictorial turn" etwa in "Through the Vanishing Point" (1968) dargelegt hatte. In einer kritischen Darstellung reformuliert Klaus Sachs-Hombach in seinem schönen Aufsatz wesentliche Aspekte der Medientheorie McLuhans - insbesondere ihre Unterscheidung von heißen und kalten Medien. Das Bild erscheint einmal mehr als "kommunikatives Medium", wie Sachs-Hombach bereits 2003 dargelegt hatte.
• Douglas Coupland: Marshall McLuhan: You Know Nothing of My Work!. New York 2010.
Und noch eine Biographie? Ja, sogar eine der lohnenswerteren McLuhan-Biographien, die in den letzten Jahren erschienen sind, verfasst vom Autor des modernen Klassikerromans Generation X. Formal und inhaltlich ungewöhnlich – man möchte schreiben: mcluhanesk. Amüsant und kurzweilig. Bringt McLuhan auf den Punkt. Und nimmt ihn ernst. "This is the kind of book that will deliver major annoyance to academics who have made a career out of deconstructing McLuhan’s effort to define the modern media ecosystem", wie David Carr in seiner Rezension in der "New York Times" vom 9.1.2011 schrieb. Kernthese der Biographie ist die des verkannten, etwas zu ungewöhnlichen Genies; der Untertitel greift McLuhans Cameo-Auftritt (as himself) in Woody Allens Film "Annie Hall" auf (s.o.). Sicher zu weit geht Couplands steile These, McLuhans spezielle Begabung habe auf einer Art von "Autismus" beruht – da widersprechen die Zeitzeugen. Insgesamt kommt Coupland zu folgendem Schluss: "To reread Marshall's work as a map for what is to come next for our culture is a tantalizing and iffy proposition" (S. 203). Aber McLuhans Stachel bleibt: Die richtigen Fragen zu stellen und nicht unbedingt sofort die richtigen Antworten parat zu haben. The Big Probe. "(...) getting into [McLuhan] is, for most people, like visiting Antarctica. You have to have time, patience, endurance, means, and stubbornness to do so, and once you're there, you're unsure of just what it is you will find" (S. 142, Fn. 22).
• Marshall McLuhan: Counterblast: 1954 Edition. Foreword by W. Terrence Gordon. Berkeley, Hamburg 2011.
Der Gipfel des Memorabilia-Handels: zwar keine Haarlocke McLuhans, aber immerhin ein kleines Pamphlet, das er 1954 privat drucken ließ in der Hoffnung, es würde die Welt wachrütteln und sie auf ihn aufmerksam machen. Das war verfrüht. Es wurde 15 Jahre später immerhin ein Buch daraus (Counterblast, 1969, s.o.), aber auch die Keimzelle eines Manuskripts kann ja noch vermarktet werden. Und mit einem Vorwort des McLuhan-Biographen Terrence Gordon versehen, kann man auch aus 18 wild typographierten Seiten mit ebenso wilden Aphorismen noch ein großformatiges Hardcoverbuch machen – "Limited Edition" natürlich. Ein Fanartikel zum "McLuhan Centennial", wie es der Verlag nennt. Es wäre selbstverständlich absolut unmöglich gewesen, diesen kleinen Archivfund kontextualisiert in einem Sammelband zu präsentieren.
• Sven Grampp: Marshall McLuhan. Eine Einführung. Konstanz 2011.
"Kleinteilige Analyse ist McLuhans Sache nicht. Ihm geht es um die großen Linien", schreibt Sven Grampp treffend in seiner Einführung in das McLuhan'sche Denkgebäude (S. 148). Grampp geht in seinem Band daran, diese großen Linien en détail nachzuzeichnen. Dabei gelingen ihm durchaus originelle Ansätze, wie schon seine Kapitelüberschriften dokumentieren: "McLuhan singen" (Lesart: Rhetorik), "McLuhan verstehen" (Lesart: Hermeneutik), "McLuhan zerstören" (Lesart: Kritik), "McLuhan nutzen" (Lesart: Pragmatismus). Der medialitätswissenschaftliche Leseansatz funktioniert prächtig, da Grampp zahlreiche Querbezüge aufzeigt, auf die inzwischen ja reichhaltige Sekundärliteratur zurückgreifen kann und McLuhan so gewissermaßen zum Tanzen bringt. Alles in allem eine inspirierende intellektuelle Auseinandersetzung mit einem "Klassiker".
• Thomas MacFarlane: The Beatles and McLuhan: Understanding the Electric Age. Lanham, Toronto, Plymouth 2013.
McLuhan, der konservative Anti-Hippie, hat mit seinen Ansichten zu Krieg und Frieden, dem globalen Dorf mit kosmischem Bewusstsein und zu Westlern, die "orientalisch" werden usw. natürlich stark die Alternativbewegungen der späten 1960er Jahre beeinflusst – Charles Perry weist in seiner Darstellung The Haight-Ashbury: A History (New York 1984) an mehreren Stellen explizit darauf hin. Es gibt sogar eine (wenig bekannte) direkte Verbindung: Kurz vor Weihnachten 1969 interviewte McLuhan John Lennon und Yoko Ono, die gerade mit ihrer Friedenskampagne "War Is Over!" weltweit Furore machten. Der Musik- und Medienwissenschaftler Thomas MacFarlane nahm dies als Ausgangspunkt seiner Analyse des zeithistorischen Zusammenhangs von Popmusik, geänderten Aufnahmetechniken, Produktions- und Rezeptionsmodi und eben den Schriften McLuhans. Kapitelüberschriften wie "The Simultaneous Worlds of Sgt.
Pepper" oder "Mystery Tours in the Global Village" machen dies deutlich. Mit seinen Detailanalysen einiger zentraler Beatles-Stücke erschließt MacFarlane McLuhan für die Musikwissenschaft. So wüst der Titel dieses Buches zunächst auch klingen mag: Es ist eine höchst interessante Rekonstruktion und Analyse einer meist übersehenen popkulturellen Verbindung.
Wir warten nun auf Bücher wie "The Gang of Four and Jacques Lacan: Understanding Power Structures", "The Dead Kennedys and Frantz Fanon: California Eats the Rich" oder "Radiohead and Philosophy: Fitter Happier More Deductive". (Letzteres gibt es sogar bereits wirklich, wenn auch ohne McLuhan-Bezüge, hrsg. von Brandon W. Forbes und George A. Reisch [2009]. Aber die Bezüge zwischen der Band Radiohead und McLuhan liegen beinahe auf der Hand; Phil Rose hat sie 2016 in einer umfassenden Studie freigelegt – siehe unten.)
• Brian P. Schaefer & Kevin F. Steinmetz: "Watching the Watchers and McLuhan's Tetrad: The Limits of Cop-Watching in the Internet Age". In: Surveillance & Society, Vol. 12 (2014), No. 4, S. 502-515. Internetquelle: https://ojs.library.queensu.ca/index.php/surveillance-and-society/article/view/tetrad/mcluhanstetrad.
Seit 1992 Polizisten in Los Angeles den Bürger Rodney King anlasslos höchst brutal verprügelten und dabei gefilmt wurden, haben sich Amateurvideos dieser Art zu einem eigenen Genre entwickelt. "Cop-watching" findet heute nicht zuletzt auch via YouTube statt und versteht sich
als Bürgerrechtsaktivität. Das demokratische Potenzial dieser Videos enthält in seinem Kern aber zweifellos ebenso den Topos der Überwachung. Das Medium sei auch hier die Botschaft, meinen Schaefer und Steinmetz mit Rückgriff auf McLuhan (1964) und McLuhan/McLuhans "Tetraden"-Konzept (1988), und argumentieren, dass das hemmungslose oder unbedachte Teilen und Weiterleiten von "Cop-watching"-Videos
das politische Potenzial des bürgerrechtlichen Engagements teilweise auch neutralisieren könnte.
• Jana Mangold & Florian Sprenger (Hrsg.): 50 Jahre Understanding Media. In: Navigationen. Zeitschrift für Medien- und Kulturwissenschaften, 14. Jahrg. (2014), Nr. 2. Internetquelle: https://dokumentix.ub.uni-siegen.de/opus/volltexte/2015/837/pdf/Navigationen_50_Jahre_understanding_media.pdf.
Diese Festschrift in Zeitschriftenform hätte McLuhan sicher gefallen. Zum 50. Jubiläum des Erscheinens von Understanding Media geben Medien- und Kulturwissenschaftler/innen der Universität Siegen ein Themenheft heraus, das sich mit dem Erbe McLuhans in Makroperspektive auseinandersetzt.
Was bedeutet es heute fernzusehen und das Fernsehen zu verstehen? Was heißt es zu lesen? Was dachte man vor 50 Jahren, was die medial-technologische Entwicklung bringen würde? Welche Bedeutung hat McLuhans opus magnum heute? Eine lesenswerte Publikation mit einem Blick in den Rückspiegel nach vorne.
• Stefan Münker: Immer wieder sonntags – Marshall McLuhan und die Message des Tatorts. In: Wolfram Eilenberger (Hrsg.): Der Tatort und die Philosophie. Schlauer werden mit der beliebtesten Fernsehserie. Stuttgart: Tropen, S. 189-203.
Oh, welch' eine Preziose dieser kleine Text ist! Stefan Münker zieht die großen Thesen McLuhans heran (Medium = Botschaft; Fernsehen = der schüchterne Riese usw.) und filetiert damit die vielschichtigen Bedeutungsebenen der in teutonischen Gefilden so unverwüstlichen TV-Serie mit ihren so liebgewonnenen Erzählmustern, Ritualen und Marotten.
Das liest sich vergnüglich und macht manch einen Fernsehsonntag gerne zu einem Büchersonntag, zumal auch die übrigen Beiträge des Bandes sehr lesenswert sind. Was andererseits auch beinahe wieder schade ist, denn: Die "Botschaft, die der Tatort als Medium (und gänzlich unabhängig vom jeweiligen Inhalt) ist, (...) besteht in der medialen Vergemeinschaftung seiner Zuschauerschaft" (S. 203). Und die möchte man fast nicht missen.
• Jane O'Dea: "Media and Violence: Does McLuhan Provide a Connection?" In: Educational Theory, Vol. 65 (2015), No. 4, S. 405-421.
Schulmassaker sind längst ein weltweites Phänomen. Sie beleben (leider) regelmäßig die Debatte um den Zusammenhang zwischen Medien und Gewalt. Sind gewalthaltige mediale Darstellungen - etwa in Form von Spielfilmen oder Shooter-Games - schuld an bestimmten Gewalttaten Jugendlicher? Diese Debatte hat eine sehr lange Tradition.
In ihrem Beitrag bezieht sich Jane O'Dea auf den kulturellen Kontext der Postmoderne (in Baudrillard'scher Prägung), hinterfragt kritisch die Validität des Links zwischen Medien und Gewalt, wie sie McLuhan hypothetisiert hat, und zieht daraus Schlussfolgerungen für die Pädagogik.
• Phil Rose: Radiohead and the Global Movement for Change: "Pragmatism Not Idealism". Madison, Teaneck 2016.
Man muss bei diesem Buch eigentlich nur das Vorwort und die Einleitung aufschlagen, um zu merken, dass McLuhan und sein Nachfolger Neil Postman hier eine zentrale Rolle spielen. Phil Rose unterzieht die Musik der britischen Band Radiohead und speziell ihres wegweisenden Albums "OK Computer" (1997) dem McLuhan'schen Analysemodell von figure und ground und zeigt im Sinne des Postman'schen Theorems der Technopolis (1992) auf, inwiefern der multimediale Text von Radiohead die technizistische Prägung der Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts vorgezeichnet hat. Wenn McLuhan 1964 Recht hatte mit seiner Behauptung, Künstler seien so etwas wie ein Frühwarnsystem zukünftiger Entwicklungen, dann dürfen die Herren von Radiohead als Sirenen gelten. Phil Rose seziert deren Statements über den Zustand und die Zukunft der Gesellschaft aus allen Blickwinkeln. Dieses Buch zeigt in seiner beeindruckenden Vielschichtigkeit auf, wozu
literarisch-mediensoziologische bzw. medienökologische Analysen im Stande sind.
• Till A. Heilmann & Jens Schröter (Hrsg.): Medien verstehen. Marshall McLuhans Understanding Media. Lüneburg 2017. Internetquelle: https://meson.press/wp-content/uploads/2017/09/978-3-95796-116-7_Medien-verstehen.pdf.
Ein Sammelband, der McLuhans ganz grundsätzliche Frage aufgreift, wie Medien zu verstehen seien (eine so sehr anschlussfähige Frage, die aber in der 1968 erschienenen deutschen Übersetzung des Klassikers von 1964 leider im Titel verwässert worden war). Zehn Autorinnen und Autoren greifen just diese Frage in Verbindung mit zentralen Topoi von McLuhan auf und denken sie weiter. Ihre Namen lesen sich wie ein Who Is Who der deutschsprachigen McLuhanisten – aber natürlich gibt es noch weitere (siehe oben, siehe unten). Wie wird ein Klassiker kodifiziert? Dieser Sammelband zeigt es auf und produziert zugleich sehr wesentliche Selbstvergewisserungen der Medienwissenschaft.
• Many McLuhans or None at All: Special Issue of the Canadian Journal of Communication (CJC), Vol. 44, No. 4 (2019). Internetquelle: https://cjc-online.ca/index.php/journal/issue/view/181.
Lesarten, Sichtweisen, Reinterpretationen ... und viel fundamentale Kritik. Die aber letztlich Wertschätzung und Reverenz ausdrückt. Irgendwie bleibt McLuhan relevant. Interessant: Hier findet sich eine erste größere anti-rassistische Kritik am Altmeister. Der hätte sich gefreut, denn alle Artikel sind Open Access.
• Peter Bexte & Martina Leeker (Hrsg.): Ein Medium namens McLuhan. 37 Befragungen eines Klassikers. Lüneburg 2020. Internetquelle: meson.press/wp-content/uploads/2020/12/9783957961785-Medium_McLuhan.pdf.
Aus der Einleitung der Herausgeber:in: Dieses Buch "greift einen Faden wieder auf, der bei einer internationalen McLuhan-Konferenz im Jahr 2007 geknüpft wurde." Den seinerzeit Interviewten wie auch einigen neuen Gesprächspartner:innen wurden 2019 drei neue Fragen gestellt: "1. Welche Rolle spielt McLuhan für Sie heute, im Jahr 2019?
2. Welche Aufgaben hat Medienwissenschaft heute? Oder stellt sich diese Frage 2019 gar nicht mehr im Singular, muss es immer schon heißen: Medienwissenschaften? 3. 'Welche Bereiche unserer Kultur werden in den nächsten Jahren vom Einfluss des Computers verschont bleiben?' So hat 2007 die Frage gelautet. Wie stellt sie sich 2019?" Die sich so ergebenden 37 Antworten sind vergnüglich zu lesen.
• Jens Schröter: "Medientheorie der Automation (Marshall McLuhan)". In: Ivo Ritzer (Hrsg.): Schlüsselwerke der Medienwissenschaft. Wiesbaden 2020, S. 39-52. Internetquelle: doi.org/10.1007/978-3-658-29325-3_3.
Eine Einführung in McLuhans Werk mit besonderem Fokus auf seine Positionen zu Automation, Arbeit und Kapital - oder was wir heute die Analyse des digitaltechnologischen Komplexes nennen könnten.
• Friedrich Krotz: "Philosophische Theorien in der Medienpädagogik: Marshall McLuhan". In: Uwe Sander, Friederike von Gross & Kai-Uwe Hugger (Hrsg.): Handbuch Medienpädagogik. Wiesbaden 2020. Internetquelle: doi.org/10.1007/978-3-658-25090-4_31-1.
Oft wird in der Rezeption des Werks übersehen, wie sehr McLuhan (auch) Medienpädagoge war. Ein Philosoph ohnehin, wenn auch fern der üblichen akademischen Philosophie. Dieser Beitrag sortiert McLuhan in die Mediumstheorie ein und entwickelt die Vorstellung vom "globalen Dorf" weiter. Konzis und lesenswert.
• Johannes Bruder, Nelly Y. Pinkrah & Sarah Sharma: "McLuhan unter Palmen. Über Orte des Denkens, Sprechens und Handelns". In: Zeitschrift für Medienwissenschaft. Jg. 2, Heft 26 (1/2022): X | Kein Lagebericht, S. 25-139. Internetquelle: https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-5889-7/zeitschrift-fuer-medienwissenschaft-26/.
Aus dem Abstract: "In diesem Beitrag diskutieren Johannes Bruder, Nelly Y. Pinkrah und Sarah Sharma über die Performativität von Marshall McLuhans Medientheorie, Praktiken des re-reading and re-writing des Kanons, antirassistische und feministische Pädagogik, akademischen Aktivismus, den Diversity-Equity-Inclusion Complex und die Frage, ob Elon Musk (auch) ein Medientheoretiker ist." Also eigentlich implodierend über das ganze globale Dorf in seinem jämmerlichen Zustand. Hoffentlich kann McLuhan noch helfen. Und auf jeden Fall ist Elon Musk (auch) ein Medientheoretiker. Das ist jetzt jede:r. Für 15 Minuten.
• Sarah Sharma & Rianka Singh (eds.): Re-Understanding Media: Feminist Extensions of Marshall McLuhan. Durham 2022.
McLuhan aus der feministischen Perspektive interpretiert, kritisiert und dekonstruiert. Hatte McLuhan wirklich nur den männlichen weißen Körper im Blick, als er Medien als Erweiterungen desselben entwarf? Zumindest war bei ihm in den 1960er und 1970er Jahren das Denken in Genderkategorien noch weitaus unterentwickelt. McLuhans Blick auf den weiblichen Körper, etwa in der Werbung seiner zeitgenössischen Gegenwart, bedarf daher in der Tat einer Reformulierung.
• Jörg Noller: Digitalität. Zur Philosophie der digitalen Lebenswelt. Basel 2022.
Es ist keineswegs selbstverständlich, dass die akademische Philosophie sich mit McLuhan beschäftigt. Jörg Noller nimmt ihn in seinem Essay zur Digitalität als "neue ontologische Struktur" gar als Ausgangspunkt seines weiteren Nachdenkens über die "performative[n] Realitäten" (S. 7), die McLuhan mit seinem Diktum von den Medien als Botschaften einstmals und sehr früh umrissen hat. Natürlich geht dies nicht ohne auch eine Kritik an McLuhans "Medienblindheit", die Noller mit seinem ontologisch orientierten Blick auf die Digitalität überwinden möchte:
"Wir nehmen also nicht nur nicht das Medium wahr, sondern auch nicht jene Realitäten, die auf dem Medium emergieren" (S. 8). Ein lohnendes Buch und eine würdige Weiterentwicklung einiger Thesen McLuhans in das 21. Jahrhundert.
• Steffen Burkhardt: "Klassiker der Organisationsforschung (47): Marshall McLuhan: Das Medium ist die Organisation". In: Organisationsentwicklung: Zeitschrift für Unternehmensentwicklung und Change Management, 42. Jg. (2023), Heft 2, S. 109-111.
Nicht nur Medientheoretiker, Medienpädagoge und Philosoph war McLuhan, so ließe sich hinzufügen, sondern eben auch Organisationskultursoziologe. In der Tat und mindestens seit "Culture Is Our Business" (1970) und "Take Today: The Executive as Dropout" (1972). McLuhan wird inzwischen sehr viel breiter rezipiert als zu seinen Lebzeiten.
• Martina Sauer: "Marshall McLuhan in a New Light: Old or New Methods of Influencing Emotions in Communities of the Electronic Age". In: Lars Grabbe, Andrew McLuhan & Tobias Held (eds.): Beyond Media Literacy (Welt Gestalten, Vol. 7). Marburg 2023, S. 14-32.
Ausgehend von der McLuhan'schen Grundposition, dass Medien und der menschliche Körper nicht trennbar sind, fragt dieser Beitrag, wie es möglich ist, dass Gefühle in bestimmten Gemeinschaften von Medien beeinflussbar sind. Das Medium ist eine Botschaft, die durch körperliche Wesen ausgedrückt wird. Diese Verbindung, so Sauer, dient als analoges Übertragungsprinzip, das sich in nicht-diskursiven, affektiven Formen und Modi der Wahrnehmung widerspiegele, so die Autorin in ihrem Blick auf neuere empirische Ergebnisse. Mitherausgeber des Bandes ist nota bene Andrew McLuhan, Enkel von Marshall und Sohn von Eric McLuhan. Er ist Leiter des 2017 gegründeten McLuhan Institute in Toronto.
Und es gibt noch viel, viel mehr Publikationen über McLuhan. Auch bisher Unveröffentlichtes aus der Feder des Meisters wird ausgegraben. Es nimmt kein Ende. Warum auch? McLuhan brummt, verlegerisch gesprochen. Die Publikationen seien im Folgenden – ohne Garantie der Vollständigkeit – als Resultat einer Katalogrecherche (hier vorwiegend für englisch-, französisch- und deutschsprachige Titel) aufgezählt. Mancher dieser Titel findet sich übrigens leichter bei Amazon oder eBay als in wissenschaftlichen Katalogen, was im Sinne McLuhans (1964, S. 7) lediglich demonstriert, dass die Zeiten sich ändern. Jeder schreibt jetzt ein McLuhan-Buch. Manche sogar mit identischen Titeln. Denn die Idee des Copyrights ist bekanntlich ohnehin obsolet.
• Nachgelassenes und Neueditionen:
• Marshall McLuhan; Michel A. Moos (ed.): Media Research: Technology, Art, Communication: Essays. Amsterdam 1997.
• Marshall McLuhan; W. Terrence Gordon (ed.): Understanding Media: The Extensions of Man. Critical Edition. Corte Madera, Cal. 2003.
Lobenswerte kritische Edition des bekanntesten Werks.
• Marshall McLuhan; David Carson (ed.): The Book of Probes. Corte Madera, Cal. 2003.
• Marshall McLuhan: Unbound. Essays Selected by Eric McLuhan. General Introduction and Essay Introduction by W. Terrence Gordon. Corte Madera, Cal. 2005.
• Marshall McLuhan: The Classical Trivium: The Place of Thomas Nashe in the Learning of His Time. Corte Madera, Cal. 2006 (= Diss., Univ. Cambridge 1943).
Die ausgegrabene Dissertation.
• Marshall McLuhan & Jean Paré: Conversations avec McLuhan, 1966-1973. Montréal 2010.
• Marshall McLuhan & Eric McLuhan: Media and Formal Cause. Houston 2011.
• Übersichten, Einführungen, Interpretationen:
• Graeme Patterson: History and Communications: Harold Innis, Marshall McLuhan, the Interpretation of History. Toronto 1990.
• Martin Baltes & Fritz Böhler/Rainer Höltschl/Jürgen Reuß (Hrsg.): Medien verstehen. Der McLuhan-Reader. Mannheim 1997.
• Donald F. Theall: The Virtual Marshall McLuhan. With a Historical Appendix by Edmund Carpenter. Montreal 2001.
• Mark Federman: McLuhan for Managers: New Tools for New Thinking. Toronto 2003.
• Gary Genosko (ed.): Marshall McLuhan: Theoretical Elaborations. London, New York 2005.
• W. Terrence Gordon, Eri Hamaji & Jacob Albert: Everyman's McLuhan. New York 2007.
• Clemens Bohrer: Babel oder Pfingsten? Elektronische Medien in der Perspektive von Marshall McLuhan. Ostfildern 2009.
• W. Terrence Gordon: McLuhan: A Guide for the Perplexed. New York 2010.
• Paul Grosswiler (ed.): Transforming McLuhan: Cultural, Critical, and Postmodern Perspectives. New York, Washington DC, Baltimore, Bern, Frankfurt a.M., Berlin, Brussels, Vienna, Oxford 2010.
• Robert K. Logan: Understanding New Media: Extending Marshall McLuhan. New York, Washington DC, Baltimore, Bern, Frankfurt a.M., Berlin, Brussels, Vienna, Oxford 2010.
• Martin Baltes & Rainer Höltschl (Hrsg.): Absolute Marshall McLuhan. Mit einem biografischen Essay von Philip Marchand. Freiburg i.Br. 2011.
• Matteo Ciastellardi, Cristina Miranda de Almeida & Carlos A. Scolari (eds.): Understanding Media, Today: McLuhan in the Era of Convergence Culture [McLuhan Galaxy Conference Proceedings]. Barcelona 2011.
• Elena Lamberti: Marshall McLuhan's Mosaic: Probing the Literary Origins of Media Studies. Toronto, Buffalo, London 2012.
• Jeffrey T. Schnapp & Adam Michaels: The Electric Information Age Book: McLuhan, Agel, Fiore and the Experimental Paperback. New York 2012.
• Gabriele Frasca: Joyicity. Joyce con McLuhan e Lacan. Napoli 2013.
• Robert K. Logan: McLuhan Misunderstood: Setting the Record Straight. Toronto 2013.
• Yoni Van Den Eede: Marshall McLuhan as Philosopher of Technology - Toward a Philosophy of Human-Media Relationships. Brussels 2013.
• Rita Leistner: Looking for Marshall McLuhan in Afghanistan. Text and iPhone Hipstamatic Photography. Bristol 2013.
• Aldo Vincent: This Is Not a Book: Understanding Marshall McLuhan. eBook 2014.
• B. W. Powe: Marshall McLuhan and Northrop Frye: Apocalypse and Alchemy. Toronto 2014.
• Carmen Birkle, Angela Krewani & Martin Kuester (eds.): McLuhan's Global Village Today: Transatlantic Perspectives. London 2014.
• Jaqueline McLeod Rogers, Catherine G. Taylor & Tracy Whalen (eds.): Finding McLuhan: The Mind, the Man, the Message. Regina 2015.
• Robert K. Logan: The Future of the Library: From Electric Media to Digital Media. New York 2016.
• Paul Levinson: McLuhan in an Age of Social Media. New York 2016.
• Richard Cavell: Remediating McLuhan. Amsterdam 2016.
• Andrea Lombardinilo: McLuhan and Symbolist Communication: The Shock of Dislocation. Oxford, Bern, Berlin 2017.
• Corey Anton, Robert K. Logan & Lance Strate (eds.): Taking Up McLuhan's Cause: Perspectives on Media and Formal Causality. Bristol, Chicago 2017.
• Shinichi Furuya: Masse, Macht und Medium. Elias Canetti gelesen mit Marshall McLuhan. Bielefeld 2017.
• Lars C. Grabbe, Oliver Ruf & Tobias Held (eds.): Eric McLuhan and the Media Ecology in the XXI Century. Marburg 2021.
• Alex Kitnick: Distant Early Warning: Marshall McLuhan and the Transformation of the Avant-garde. Chicago, London 2021.
• Robert K. Logan: McLuhan in Reverse: His General Theory of Media (GToM). New York 2021.
• Paula McDowell (ed.): Reading McLuhan Reading. London, New York 2023.
• Dissertationen und veröffentlichte Seminararbeiten:
• Liss Jeffreys: The Heat and the Light of Marshall McLuhan: A 1990s Reappraisal. Diss., McGill University, Montreal 1997.
• Vera Dreyer: Selbstdarstellung und Authentizität im Spiegel medienwissenschaftlicher Konstruktionen am Beispiel Marshall McLuhans. Diss., Univ. der Künste Berlin 2005.
• Sonja Yeh: Anything goes? Postmoderne Medientheorien im Vergleich. Die großen (Medien-)Erzählungen von McLuhan, Baudrillard, Virilio, Kittler und Flusser. Bielefeld 2013 (Diss., Univ. Münster 2012).
• Sarah Trede: Marshall McLuhan: Das Medium ist die Botschaft. Diskussion einer grundlegenden These der Medientheorie im 20. Jahrhundert. München 2006.
• Karoline Kmetetz-Becker: Zu: Marshall McLuhan – "Die mechanische Braut". München 2007.
• Katrin Parigger: Marshall McLuhan – mit dem Fernsehen in die Netzwerkgesellschaft. München 2008.
• Ellen Thießen: Marshall McLuhan: Das Medium ist die Botschaft. Diskussion einer grundlegenden These der Medientheorie im 20. Jahrhundert. München 2009.
• Clemens Bohrer: Babel oder Pfingsten? Elektronische Medien in der Perspektive von Marshall McLuhan. Ostfildern 2009.
• Christian Huberts: Raumtemperatur. Marshall McLuhans Kategorien "heiß" und "kalt" im Computerspiel. Salzhemmendorf 2010.
• Florian Sprenger: Medien des Immediaten. Elektrizität, Telegraphie, McLuhan. Berlin 2012 (Diss., Univ. Bochum 2011).
• Anett Oertel: Wie verändern die elektronischen Medien das Konzept der Literalität und unseren Umgang mit Wissen? Positionen zwischen Euphorie und Kulturkritik. München 2012.
• Marina Ehrngruber: Herbert Marshall McLuhan. Eine Analyse von "Die mechanische Braut" anhand von Beispielen des Mediums Comics. München 2013.
• Ena Weiss: Die Macht des Fernsehens. Es macht die Dummen dümmer und die Klugen klüger. Ausarbeitung der medientheoretischen Ansätze von Marshall McLuhan, Neil Postman und Hans Magnus Enzensberger. München 2013.
• Valia Kraleva: Marshall McLuhan: Wer er war, wer er wurde. München 2013.
• Janine Knodel: Marshall McLuhan "Das Medium ist die Botschaft" und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft. München 2013.
• Shinichi Furuya: Masse, Macht und Medium. Elias Canetti gelesen mit Marshall McLuhan. Bielefeld 2017 (Diss., Univ. Bochum 2014)
• Jana Mangold: McLuhans Tricksterrede. Archäologie einer Medientheorie. Berlin 2018 (Diss., Univ. Erfurt 2015).
Das wird man nun alles noch lesen müssen, so interessant es auch ist.
An der Universitat Oberta de Catalunya (Barcelona) erschien überdies ab 2011 das International Journal of McLuhan Studies: elektronisch selbstverständlich und auch als gedrucktes Jahrbuch. Lange hat das Journal nicht durchgehalten. Kein Wunder, wenn jeder zweite Essay und (gefühlt) jede Seminararbeit inzwischen als Monographie erscheint. Wir publizieren uns zu Tode. Die Spezialisierung und Kompartmentalisierung der Wissenschaft und des Denkens schreitet somit weiter voran. War das nicht ursprünglich einmal ein Angriffsziel McLuhans?
Conclusio / Retrieval : Cliché + Archetype = Message¦Massage¦Mess-age¦Mass-age¬
Was also bleibt von McLuhan? Letztlich ein recht schmales Œuvre, wenn man auf das Verzeichnis der Originalschriften blickt (und die Resultate seines privaten Geschäftsmodells der kleinteiligen Resteverwertung abzieht). Gelesen haben sollte man sicher The Gutenberg Galaxy und Understanding Media: zwei zum Denken inspirierende Bücher, die Bestand haben werden, trotz vieler Schwächen; das posthum erschienene Laws of Media hilft einige Unklarheiten zu beseitigen. Beinahe noch interessanter ist allerdings die Sekundärliteratur und der sich in ihr entspannende akademische (und auch populäre) Diskurs über und rund um McLuhan ab ca. 1967. Man erhält auf diese Weise (und in der bequemen Rückschau) Einblicke in wissenschaftliche und publizistische Moden, Marotten und Themenkarrieren – und letzten Endes eine Lektion dessen, was man heute mediatisierte Popkultur nennt. McLuhan war für sie Treibsatz, Projektionsfläche und, ja, Medium. McLuhan, dieses Phänomen der Wissenschaftspopkultur, war die Botschaft.
Post no bills: das "McLuhan Program in Culture and Technology" der Universität Toronto. Finanzierung und Zukunft wie immer: ungewiss.
Foto: Oliver Zöllner (2008)